Alter Wein in alten Schläuchen
Von jali
Vor nunmehr fast 10 Jahren hat die damalige Bundesregierung versucht, das Luftsicherheitsgesetz (LuftSiG) zu reformieren. Im Rahmen der Bemühungen um den Einsatz der Bundeswehr im Inland wollte die damalige Bundesregierung das Recht festschreiben, mit militärischen Mitteln entführte Flugzeuge präventiv abschießen zu dürfen.
Als Begründung wurden, mal wieder, die Anschläge vom 11.09.2001 in New York genannt. Man wolle, so die Argumentation, verhindern, dass Terroristen ein entführtes Flugzeug in ein Gebäude steuern könnten.
Das Bundesverfassungsgericht hatte den entscheidenden §14 Abs. 3. in seiner Entscheidung vom 15.02.2006 im vollen Umfange für mit der Verfassung unvereinbar erklärt. Hierbei wurden unter anderem zwei Gründe genannt: Zum einen argumentierte das Bundesverfassungsgericht, dass der Einsatz militärischer Mittel nach Artikel 35 GG ausgeschlossen ist. Vielmehr kann die Bundeswehr im Inneren nur zur Nothilfe bei Naturkatastrophen und Unglücksfällen eingesetzt werden. Hierzu bedarf es eines Beschlusses des Bundestags.
Wichtiger noch ist dem Bundesverfassungsgericht die Verletzung von Artikel 1 GG durch das LuftSiG. Den Abschuss eines Passagierflugzeugs hält das Gericht für unvereinbar mit der Menschenwürde und findet dafür deutliche Worte:
Die einem solchen Einsatz ausgesetzten Passagiere und Besatzungsmitglieder befinden sich in einer für sie ausweglosen Lage. Sie können ihre Lebensumstände nicht mehr unabhängig von anderen selbstbestimmt beeinflussen. Dies macht sie zum Objekt nicht nur der Täter. Auch der Staat, der in einer solchen Situation zur Abwehrmaßnahme des § 14 Absatz 3 greift, behandelt sie als bloße Objekte seiner Rettungsaktion zum Schutze anderer. Eine solche Behandlung missachtet die Betroffenen als Subjekte mit Würde und unveräußerlichen Rechten. Sie werden dadurch, dass ihre Tötung als Mittel zur Rettung anderer benutzt wird, verdinglicht und zugleich entrechtlicht; indem über ihr Leben von Staats wegen einseitig verfügt wird, wird den als Opfern selbst schutzbedürftigen Flugzeuginsassen der Wert abgesprochen, der dem Menschen um seiner selbst willen zukommt.
Unter der Geltung des Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes (Menschenwürdegarantie) ist es schlechterdings unvorstellbar, auf der Grundlage einer gesetzlichen Ermächtigung unschuldige Menschen, die sich in einer derart hilflosen Lage befinden, vorsätzlich zu töten.
Darüber hinaus hat das Gericht auch noch eine Verletzung des Artikels 2 Abs 2 GG (Recht auf Leben) erkannt, und eine Reihe weiterer materiell-verfassungsrechtlicher Gründe angeführt.
An Deutlichkeit mangelt es dieser Entscheidung eigentlich nicht. Das Verfassungsgericht hält einen Abschuss schlicht für unvorstellbar.
Das hindert unsere Bundesregierung aber nicht daran, jetzt einen neuen Anlauf zu unternehmen, das Gesetz trotzdem noch einzuführen. Grundlage ist eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 17. August 2012, bei dem ein Teil der Urteilsbegründung von 2006 relativiert wird. In dieser Entscheidung legt das Gericht dar, dass unter bestimmten Umständen der Einsatz der Bundeswehr zur Gefahrenabwehr gerechtfertigt sein kann, setzt diesem Einsatz allerdings extrem enge Grenzen.
So soll es z.B. möglich sein, dass militärische Flugzeuge eingesetzt werden, um ein entführtes Passagierflugzeug abzufangen, und zur Landung zu zwingen. Ein Vorgehen, dass die Polizei, schon allein deswegen nicht selbst durchführen kann, weil sie nicht über geeignete Flugzeuge verfügt. Auch im Falle eines Angriffs durch Terroristen, der mit militärischen Waffen ausgeführt wird, kann die Bundeswehr um Amtshilfe gebeten werden, sofern ein Gesetz dies regelt. Das Gericht stellt aber klar, dass dies auf entsprechende Einzelfälle beschränkt bleiben muss, und stellt explizit klar, dass dies nur für den Falle eines terroristischen Angriffs gilt, und das Militär auf keinen Fall eingesetzt werden darf, um z.B. gegen randalierende Demonstranten vorzugehen. Dies bleibt Aufgabe der Länderpolizeien.
Die Entscheidung allein kann schon ein ungutes Gefühl in der Magengegend auslösen, wenn man bedenkt, wie schnell unsere Regierung aus ganz alltäglichen Vorgängen terroristische Bedrohungen herbei phantasiert. Ich würde davon ausgehen, dass die Regierung die Entscheidung so interpretiert, dass es legitim sein kann gegen eine Demonstration vorzugehen, wenn man darin Terroristen vermutet.
Als eine Art Kontrollmechanismus ist in Art. 35 Abs 3. GG vorgesehen, dass die Entscheidung über einen solchen Einsatz von der Bundesregierung getroffen werden muss. Genau diesen Punkt will die Bundesregierung nun ändern. In Zukunft soll allein der Innenminister über den Einsatz militärischer Gewalt im Inneren entscheiden.
Hierzu möchte die Bundesregierung ihre zweidrittel Mehrheit benutzen, um Artikel 35 Abs. 3 entsprechend anzupassen. Ich habe da einige einige Bauschmerzen mit. Das fängt damit an, dass hier einer einzelnen Person eine gewaltige Macht in die Hände gelegt wird, so etwas sollte es in einer Demokratie eigentlich nicht geben.
Dazu kommt, dass die Bundesregierung schon 2006 nicht wirklich von der Idee des Flugzeugabschusses abgerückt ist. Ich sehe die derzeitigen Ideen eher als einen Testballon. Die Regierung will hier mal wieder austesten, wie weit sie die Grenzen der Verfassung ausdehnen kann. Kommen sie damit durch, wird auch der Ruf nach dem Recht zum Abschuss wieder lauter werden.
Fakten spielen, wie bei der Vorratsdatenspeicherung ohnehin keine Rolle. Wann hat es denn zuletzt einen fatalen Terroranschlag in der Bundesrepublik gegeben, der nur mit militärischen Mitteln abgewehrt werden konnte? Richtig, noch nie.
Im Gegenteil hat der Rechststaat in den 70er und 80er Jahren, trotz überhitzter Reaktionen der Politik gezeigt, dass er dem Terrorismus der RAF durchaus gewachsen war. Eine staatsgefährdende Krise hat die RAF jedenfalls nicht ausgelöst, und die Täter wurden vom Rechtsstaat so behandelt, wie jeder andere Schwerkriminelle auch. Die Bundeswehr haben wir dazu nicht gebraucht.
Es ist wieder an der Zeit wachsam zu sein, und genau zu beobachten was passiert. Die Große Koalition verfügt über eine ausreichende Mehrheit, um nach Gutdünken die Verfassung zu ändern. Den nötigen Respekt vor der Verfassung haben unsere gewählten Vertreter aber schon lange nicht mehr.