Das "Digitale-Dienste-Gesetz"
Noch vor dem Sommer soll eine Verordnung auf EU-Ebene verabschiedet werden, die europaweit einheitliche Regeln für Online-Dienste und Plattformanbieter schaffen soll. In der letzten Runde der Trilog-Verhandlungen einigten sich die EU-Kommission, die Vertreter der Mitgliedstaaten und des Europaparlaments auf einen gemeinsamen Gesetzentwurf für das sogenannte Digitale Dienste Gesetz.
Damit ist das wohl wichtigste digitalpolitische Vorhaben der derzeitigen Kommissionpräsidentin Ursula von der Leyen auf den Weg gebracht. Grund genug einmal genauer drauf zu schauen, zumal die digitalpolitische Vergangenheit der Kommissionpräsidentin nicht unbedingt Gutes vermuten lässt.
Im wesentlichen verfolgt die neue Verordnung ähnliche Ziele, wie das Netzwerkdurchsetzungsgesetz der Bundesrepublik, geht aber in vielen Bereichen darüber hinaus, und erfasst auch Themenbereiche wie Verbraucherschutz, die im NetzDG gar nicht vorkommen.
Grob lässt sich der Entwurf in drei Bereiche teilen:
- Verbraucher
- Gewerbliche Nutzer / Anbieter von Waren und Dienstleistungen
- Internetdienstanbieter
Verbraucher
Das erklärte Ziel des Digitale-Dienste-Gesetzes ist es, den Verbraucherschutz zu stärken und Nutzer:innen mehr Freiheiten zu geben, sowie ihnen mehr Handlungsmöglichkeiten zu geben, gegen die Verletzung ihrer Rechte vorzugehen.
Dazu gehört, dass Anbieter von Diensten verpflichtet sind klare und für Nutzer:innen transparente Regeln darüber zu formulieren, wie Inhalte moderiert werden. So soll sichergestellt werden, dass über die gesetzlichen Schranken hinaus verwendete Moderationsregeln (Netiquette) für alle klar ersichtlich, und vor allem für alle gleich sind.
Ebenfalls neu ist, dass die Anbieter darlegen müssen nach welchen Kriterien ausgewählt wird welche Inhalte empfohlen werden. Auch wenn die eigentlichen Algorithmen nicht offengelegt werden müssen, ist dies ein wichtiger Baustein, um bewerten zu können welche Inhalte von den Plattformen gefördert werden.
Zum Beispiel ist es sicher interessant herauszufinden, wieso Zuschauer:innen von Formaten wie mailab immer wieder die Kanäle von Flat-Earthern und Impfgegner:innen empfohlen bekommen.
Ebenfalls neu, und sehr begrüßenswert, ist das Recht von Nutzer:innen, Empfehlungen, die auf Profiling basieren zu widersprechen.
Eine weitere wichtige Änderung, die Nutzer:innenrechte stärkt, ist die Verpflichtung für Plattformbetreiber, eine Möglichkeit für Nutzer:innen zu schaffen, im Falle, z.B. von Löschungen, einen Widerspruch einzulegen. Dies ist eine Möglichkeit, die dem sowohl dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz als auch den Urheberrechtsrichtlinien bislang fehlte. So war es bisher für normale Nutzer:innen kaum möglich sich gegen eine ungerechtfertigte Sperre zu wehren.
Was aus dem Entwurf leider völlig herausgefallen ist, ist der Vorschlag des EU-Parlaments eines kompletten Verbotes sogenannter Dark Patterns.
Die meisten Nutzer:innen werden Dark Patterns vor allem von den Cookie-Bannern kennen (Cookie-Consent-Tricking), bei denen fast alle Anbieter von Web-Diensten das Ablehnen der Tracking-Cookies absichtlich schwer machen, um Nutzer:innen dazu zu drängen dem Tracking zuzustimmen.
Wenig tut sich allerdings auf der Seite der werbetreibenden Industrie. Die Regelungen zu personalisierter Werbung sind eher mager. Das Sammeln von persönlichen Daten, und die massenhafte Auswertung zu Werbezwecken ist weiterhin erlaubt, allerdings konnte ein Verbot personalisierter Werbung an Minderjährige durchgesetzt werden. Wobei mir nicht ganz klar ist, wie die Anbieter von werbefinanzierten Diensten herausfinden wollen, ob eine Person minderjährig ist, ohne noch mehr Daten zu sammeln.
Unternehmen
Auch im Bereich der Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen tut sich einiges. Hier hat die EU wohl vor allem die großen Plattform- und Cloudservice-Anbieter (Google, Amazon oder auch Cloudfare) im Visier. Erklärtes Ziel ist die Schaffung europaweit einheitlicher Regelungen, sodass eine Art digitaler Binnenmarkt entstehen kann, bei dem kleine und mittlere Unternehmen, die IT-Dienstleistungen in Anspruch nehmen, aus verschiedenen Anbietern auswählen können, ohne sich unter die Knute der großen US-Konzerne begeben zu müssen.
Die Idee ist vermutlich europäische Dienstleistungen und Services zu fördern, um die Abhängigkeit von einigen wenigen Monopolisten zu brechen. Ob die Vorschriften in dem Vorschlag dazu ausreichen werden, darf getrost bezweifelt werden.
Interessant ist die Schaffung sogenannter vertrauenswürdiger Hinweisgeber. Dies können Unternehmen sein, die eine bestimmte Plattform nutzen, aber auch z.B. Verbraucherschutzverbände. Meldungen dieser, durch ein EU-Gremium zertifizierter, Vertrauensinstutionen auf illegale Inhalte sollen von Plattformanbietern vorrangig behandelt werden, und so Anreize schaffen, sich im Netz ehrlicher zu verhalten, aber auch, so schreibt es die Kommission, um Missbrauch der Meldefunktion einzudämmen. Wie effektiv das als Mittel sein kann, wird die Praxis zeigen. Funktionieren kann so etwas nur, wenn der Vertrauensstatus der Unternehmen und Verbände auch regelmäßig überprüft wird. Sonst kommen Leute auf die Idee sich einen solchen Status zu erarbeiten, um dann im großen Stil mit falschen Meldungen die Konkurrenz auszubooten.
Große Plattformen
Ein besonderes Augenmerk liegt in dem Vorschlag auf der Regulierung der großen Internetkonzerne (im Entwurf sehr große Online-Plattformen genannt). Hier ist nicht der Sportverein um die Ecke gemeint, sondern tatsächlich Großunternehmen, die eine marktbeherrschende Stellung haben.
Diesen Unternehmen, die de-facto eine Gatekeeper-Funktion haben, sollen Verpflichtungen auferlegt werden, die zum einen illegale und unfaire Praktiken eindämmen, zum anderen soll sichergestellt werden, dass der Zugang aller Teilnehmer gleichberechtigt ist.
Große Anbieter mit marktbeherrschender Stellung gelten als relevant für die Öffentlichkeit und die Demokratie, und unterliegen daher, über die für alle Unternehmen geltenden Regeln hinaus, weitergehenden Regeln.
So sind sie z.B. verpflichtet eine jährliche Bewertung der Risiken abzugeben, die ihre Plattformen im Bezug auf Grundrechte, Meinungsäußerung, Datenschutz oder Jugendschutz darstellen. Eventuelle negative Auswirkungen auf z.B. den Meinungsbildungsprozess, aber auch solche die Gewalt und Hass, oder auch das psychische Wohlbefinden der Nutzer:innen betreffen, müssen analysiert und nach Artikel 27 auch beseitigt werden.
Die Kommission und ausgewählte Vertreter der Mitgliedstaaten sollen dazu auch einen irgendwie gearteten Zugang zu den Algorithmen bekommen. Wie das aussehen soll, ist allerdings noch völlig offen, zumal sich die Unternehmen auf ihr Recht auf Geschäftsgeheimnisse berufen können. Die Idee ist aber wohl, Forscher:innen und zivilgesellschaftlichen Organisationen Zugang zumindest zu einem Teil der Informationen zu gewähren, um eine unabhängige Erforschung der Plattformen zu ermöglichen.
Im Fall von Krisen wie Kriegen oder Pandemien, kann die Kommission Plattformbetreiber dazu auffordern, dringende Bedrohungen auf ihren Portalen zu begrenzen. Es ist relativ unklar, was damit gemeint ist. Ein Verbot bestimmter Inhalte wird wohl -sofern diese nicht strafrechtlich relevant sind- kaum in Frage kommen, wenn man nicht eine staatliche Zensur einführen will.
Fazit
Die europäische Kommission feiert den Entwurf als das neue digitale Grundgesetz. Angesichts des zögerlichen Herangehens, und dem Fokus auf Maßnahmen, die die Marktmacht der digitalen Großunternehmen begrenzen sollen, ist dieser Titel maßlos übertrieben.
Gut an dem Entwurf ist, dass es klare Bestrebungen gibt, die Rechte der Nutzer, vor allem gegenüber den großen Plattformen deutlich zu stärken. Anders als z.B. beim deutschen Netzwerkdurchsetzungsgesetz müssen die Betreiber jetzt z.B. Möglichkeiten anbieten, durch die Nutzer:innen sich wehren können, wenn ihre Inhalte gesperrt wurden, und sie dies für ungerechtfertigt halten.
Die Transparenzregeln können helfen das Wirken von Algorithmen besser zu verstehen. Andererseits besteht hier auch die Gefahr, dass sie das Problem eher verschlimmern. Anbieter könnten die technische Komplexität dazu nutzen, die tatsächlichen Sachverhalte zu verschleiern. Ein Beispiel, wie so eine Regel in ihr Gegenteil verkehrt werden kann, ist die bereits erwähnte EU-Cookie-Richtline.
Der Krisenmechanismus, der -wohl als Antwort auf die massive russische Kriegspropaganda- noch kurzfristig in den Text aufgenommen wurde, ist ebenfalls problematisch. So wichtig es ist Kriegstreibern und Hetzern keine Reichweite zu verschaffen, ist hier die Grenze zur staatlichen Zensur sehr schmal.
Massive Kritik an dem Text kommt aus der Medienbranche. Der Deutsche Journalisten Verband bezeichnet den Entwurf in einer Pressemitteilung gar als verfassungswidrig. Hauptkritikpunkt ist, dass sich die Union vorbehält die großen Plattformbetreiber selber zu überwachen, und die Regeln gegebenfalls durchzusetzen. Die Journalist:innen des DJV sehen hierin einen Verstoß gegen das Föderalitätsprinzip: In Deutschland ist die Medienordnung föderal, Medienpolitik ist Ländersache. Nun könnte man einwenden, dass schon das Netzwerkdurchsetzungsgesetz gegen dieses Prinzip verstösst. Am Ende werden das im Zweifel die Gerichte entscheiden müssen.
Zu einem echten digitalen Grundgesetz fehlt aber noch viel mehr. Die Forderung zum Verbot personalisierter Werbung, eine der wichtigsten Forderungen für die Sicherheit und Privatsphäre von Nutzer:innen, hat es nicht in den Entwurf geschafft. Immerhin sollen Kinder und Jugendliche in den Genuss eines solchen Verbots kommen. Wobei dies sich nur sehr begrenzt durchsetzen lässt, nämlich auf Seiten, deren Angebote sich explizit an Kinder und Jugendliche richten. Ich sehe auch hier ähnliche Probleme, wie schon bei der Cookie-Richtline.
Ein Verbot von automatisierten Filtersystemen zur Inhaltekontrolle ist ebenfalls nicht vorgesehen. Es bleibt also die Möglichkeit bestehen, dass die eigene Meinung von einer KI kassiert wird. Immerhin ist jetzt ein Einspruch dagegen möglich.
Völlig vertan wurde die Chance Ende-Zu-Ende-Verschlüsselung als ein digitales Grundrecht einzuführen. Obwohl es von Seiten des Parlaments Vorstösse in diese Richtung gab, findet sich davon in dem Gesetzentwurf nichts.
Die europäische Union hätte mit dem Digitale-Dienste-Gesetz die Chance gehabt nicht nur den Weg für die digitale Zukunft Europas zu ebnen, sondern auch einen rechtlichen Rahmen zu schaffen, der im Gegensatz zu der gnadenlosen Logik des Silicon-Valley-Kapitalismus stünde, und Bürgerechte, Kreativität und digitale Teilhabe in den Mittelpunkt stellt. Vielleicht klappt das ja beim nächsten Mal.